Nach dem heutigen Stand der Wissenschaft, speziell was
der Gesetzgeber und die Bürokraten, die Medien und die Informationsgesellschaft uns täglich vorbeten und verbieten, müssten
wir alle, die in den Sechzigern bis Anfang der Achtziger aufgewachsen sind, längst tot sein... Unsere Kinderbetten waren
mit bleihaltigen Farben bemalt und Formaldehyd sickerte aus jeder Pore. Ganz zu schweigen vom Tapetenleim, dem Kleber des
Linoleums oder den PVC-Dämpfen des Stragula. Wasserfeste Filzstifte hatten Ausdünstungen, die benebelten, und wer erinnert
sich noch an den leicht salzigen Geschmack des abzuleckenden Tintenkillers? Steckdosen, Medizinflaschen, Schranktüren und
Schubladen waren noch nicht kindersicher. Messer, Schere, Gabel und Licht wurden uns zwar verboten, aber meistens mussten
wir uns erst einmal daran verletzten, um es zu glauben. Unsere Fahrräder, Roller und Rollschuhe fuhren wir ohne Schützer und
Helme. Die Risiken, per Anhalter in den nächsten Ort zu fahren, waren uns unbekannt! Zum Thema Auto erinnern wir uns weder
an einen Sicherheitsgurt, noch an Airbags, ABS oder ähnliche Sicherheitsvorrichtungen im Wagen des Vaters. Man saß zwar hinten,
aber an einem heißen Sommertag gab es doch nichts Schöneres, als seinen Kopf aus dem Fenster (das man damals noch komplett
runterkurbeln konnte) des fahrenden Autos zu stecken und sich den Fahrtwind ins Gesicht blasen zu lassen, sodass man kaum
noch Luft bekam. Wasser haben wir direkt aus dem Gartenschlauch getrunken und nicht aus einer Flasche. Wahnsinn! Wir aßen
fettige Schmalznudeln und frischgebackenes Brot mit fingerdick Butter drauf; dazu gab es überzuckerte Limonaden oder künstlich
gefärbtes Tri Top. Fett geworden sind wir deswegen nie, weil wir immer draußen waren. Wir haben zu fünft aus einer Limoflasche
getrunken - und es ist tatsächlich keiner daran gestorben. Wir haben stunden- und tagelang an Seifenkisten oder ähnlichen
Gefährten geschraubt, die wir aus rostigem Schrott und splitterigem Holz konstruiert hatten. Dann sind wir den Hügel damit
runtergebrettert, nur um festzustellen, dass wir die Bremsen vergessen hatten. Nachdem wir ein paar Mal in der Böschung gelandet
waren, haben wir gelernt, auch dieses Problem zu lösen. Wir gingen in der Früh raus und haben den ganzen Tag gespielt, höchstens
unterbrochen von Essenspausen und kamen erst wieder rein, als es dunkel wurde und man den Fußball nicht mehr richtig sehen
konnte. Wir waren nicht zu erreichen. Keine Handys! Wenn es regnete, spielten wir bei Freunden Monopoly oder Mensch ärgere
dich nicht, Mühle oder Dame und bauten mit Matchbox-Autos ganze Städte auf. Wir hatten weder Playstations oder Nintendo, X-Boxen
oder Videospiele, keine PCs, keine 50 Fernsehkanäle oder Surround-Anlagen. Ins Kino zu gehen war ein Ereignis, für das man
sich herausputzte und das einem vor Vorfreude den Magen kribbeln ließ. Es gab noch Vorfilme, die immer eine Überraschung
waren, weil keiner wusste, was zu erwarten war- und wenn zufällig ein Donald-Duck- oder Micky-Maus-Film dabei war, hatte man
das ganz große Los gezogen. Wir hatten Freunde! Wir gingen raus und haben uns diese Freunde gesucht. Wir haben Fußball
gespielt mit allem, was sich kicken ließ, und wenn einer einen echten Lederball hatte, war er der King und durfte immer mitspielen,
egal wie schlecht er war. Um im Verein mitspielen zu dürfen, gab es Aufnahmeprüfungen, die nicht jeder bestanden hat. Wer
es nicht geschafft hat, lernte mit der Enttäuschung umzugehen. Wir spielten Völkerball bis zum Umfallen und manchmal tat es
weh, wenn man abgeworfen wurde. Wir sind von Bäumen und Mauern gestürzt, haben uns geschnitten, aufgeschürft und haben
uns Knochen gebrochen und Zähne ausgeschlagen. Wir hatten Unfälle! Es waren einfach Unfälle, an denen wir schuld waren. Es
gab niemanden, den man dafür verantwortlich halten konnte und vielleicht sogar noch vor den Kadi zerrte. Wer erinnert sich
noch an Unfälle? Unsere Knie und Knöchel waren von Frühjahr bis Herbst lädiert, und ein Schienbein ohne blaue Flecke gab
es nicht. Wenn wir uns an Brennesseln gebrannt haben oder uns eine Mücke gestochen hatte, haben wir entweder drauf gespuckt
oder den Nachbars Hund drüber lecken lassen oder drauf gepinkelt. Geholfen hat alles. Wir haben gestritten und gerauft,
uns gegenseitig grün und blau geprügelt und gelernt, damit zu leben und darüber weg zu kommen. Wir haben Spiele erfunden mit
Stöcken und Bällen, haben mit Ästen gefochten und Würmer gegessen. Und obwohl es uns immer wieder prophezeit wurde, haben
wir kaum ein Auge ausgestochen, und die Würmer haben auch nicht in uns überlebt. Wir sind zu einem Freund geradelt, haben
an der Tür geläutet und sind dort geblieben, nur um mit ihm zu reden. Manche Schüler waren nicht so schlau wie andere, also
haben sie eine Klasse wiederholt. Sie sind nicht durchgefallen, sondern wurden von den Lehrern einfach zurückgestuft. Zensuren
bei Proben wurden nie manipuliert, egal aus was für Gründen. Wir waren für unsere Aktionen selbst verantwortlich. Konsequenzen
waren immer zu erwarten, wenn wir Scheiße gebaut hatten. Der Gedanke, daß ein Elternteil uns rauskloppt, wenn wir mit dem
Gesetz in Konflikt geraten waren, war undenkbar. Im Gegenteil: Die Eltern stellten sich auf die Seite des Gesetzes. Stellt
euch das einmal vor! Unsere Generation hat einige der größten Enterpreneure und Erfinder hervorgebracht. Die letzten 50
Jahre waren eine wahre Explosion an Innovationen und Ideen. Wir hatten Freiheit und Zwang, Erfolg und Misserfolg, Verantwortung
und Konsequenz. Und wir haben gelernt damit umzugehen. Erinnere Dich daran, wie Du aufgewachsen bist und Du wirst
sehen, was unseren Kindern heute fehlt. Als die Eltern einmal ein Auge zudrückten, anstatt die Kinder mit übergroßer Vorsicht
zu erdrücken. Unsere Eltern trauten uns zu, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Meistens hat es geklappt. Die paar Mal,
die daneben gingen, zählen wir zu unseren Lebenserfahrungen.
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